So war das damals

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...als bei mir die Diagnose gestellt wurde


Die Ausgangssituation

Irgendwie war ich seit einiger Zeit schon total erledigt. Das überraschte mich auch nicht, denn mir war klar, daß ich grundsätzlich überlastet war bis an die Schmerzgrenze. Der Vollzeitjob, eine Nebenbeschäftigung (die aber kurz vor dem Ende stand) und eine Fortbildung ergaben ein sehr anstrengendes Programm. Der Pflegezustand meiner Behausung ließ während dieser Zeit mehr als zu wünschen übrig, aber das habe ich hingenommen. Schließlich krabbelte ja nichts oder so...

Hinzu kam eine spezielle Situation an meinem Arbeitsplatz. Der Betrieb, in dem ich beschäftigt bin, hatte seinerzeit umfirmiert und wurde mit einem anderen Betrieb zusammengelegt. So bekam ich neue Vorgesetzte, von denen mindestens einer überhaupt nicht gerne mit mir zu tun hatte (und vermutlich noch immer nicht hat, aber er läßt es mittlerweile nicht mehr raushängen). Zu jener Zeit kämpfte ich jedenfalls noch mit der Umstellung, daß der Ort, der lange mein zweites - und manchmal auch besseres - Zuhause gewesen war und mit dem ich mich ca. 300prozentig identifiziert hatte, jetzt nichts weiter mehr darstellt als eben ein Job, mit dem ich meine Brötchen verdiene. Die Tatsache, daß ich nun nicht mehr zu den gefragtesten Mitarbeitern zählte, sondern einiges unternommen wurde, um mir das Leben schwer zu machen (ich vermute, um mich sozusagen rauszuekeln), bereitete mir z.T. erheblichen Streß, auch noch längere Zeit danach. Auf dieses Thema gehe ich auf der Seite »Etwas über Mobbing« gesondert ein, hier soll zur Erklärung genügen, daß ich den zeitlichen Zusammenhang zwischen den »Nickeligkeiten« am Arbeitsplatz und meiner gesundheitlichen Situation schon lange nicht mehr für Zufall halte.

Ich war mit körperlich anstrengender Arbeit beauftragt in einer Arbeitsumgebung mit sehr schlechter Luft und recht hoher Umgebungstemperatur. Wärme konnte ich seit Jahren schon immer schlechter vertragen (was hier auch jeder wußte, den es etwas anging), und entsprechend strengte meine Beschäftigung mich immer mehr an. Mit der Zeit begannen meine Schulter und mein Arm zu schmerzen, und einige meiner Finger wurden gefühllos. Das kannte ich schon, und da ich noch nie gern am Arbeitsplatz fehlte, pflegte und schonte ich mich in meiner Freizeit und unternahm sonst diesbezüglich nichts. Aber trotz Pflege und Schonung ging es mir immer schlechter, ich wurde immer kraftloser, und mir war ziemlich elend. Darüber wunderte ich mich sehr, denn ich konnte eigentlich nichts konkretes, wie z.B. Fieber, feststellen. Nur mein Gesicht fühlte sich irgendwie merkwürdig an.

Eines Morgens geschah dann etwas eigenartiges: ich öffnete die Augen und sah alles, was mehr als ca. zwei Meter entfernt war, doppelt. Und zwar übereinander. Nach einiger Zeit hörte der Spuk wieder auf, und ich fragte mich, ob das Wirklichkeit oder Einbildung gewesen war und ging zur Tagesordnung über. Aber am nächsten Morgen suchte das Phänomen mich erneut heim, nur mit dem Unterschied, daß es schon nicht mehr ganz so schnell wieder verschwand. Als es am dritten Tag in Folge auftauchte, suchte ich einen Arzt auf.


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Besuch beim Arzt - jetzt ging es sehr schnell

Dieser Arzt - ein Allgemeinmediziner, bei dem ich vorher noch nie war - sprang direkt auf meine Symptome und Familienanamnese (Mutter MS) an und brachte mich quasi sofort in einer Facharztpraxis zur Kernspintomographie unter. Hier wurde mir erklärt, man werde sofort meinen Kopf untersuchen, und am nächsten Tag solle ich zu Untersuchung der Halswirbelsäule wiederkommen. Nachmittags zu Hause legte ich mich dann zu einem »Genesungsschläfchen« aufs Sofa, bis ich vom Klingeln des Telefons erwachte. Schlaftrunken und doppeltsehend tappte ich zum Telefonapparat und nahm das Gespräch an. Die freundliche Helferin des Allgemeinmediziners meldete sich und erklärte mir, dass ich mich am nächsten Tag nicht mehr zur Untersuchung der Halswirbelsäule begeben müsse, sondern nur noch den Allgemeinmediziner aufzusuchen bräuchte. Naja, halbschlafend bedankte ich mich für die Info und legte mich wieder ab. Dann kam mein Denkvermögen so langsam in Schwung, ich sinnierte über dieses Telefongespräch nach, und der Groschen fiel dann pfennigweise. Als mir dann nach kurzer Zeit klar war, dass demnach in meinem Gehirn etwas gefunden worden war, war ich schlagartig wach, hellwach sogar...

Blitzartig machte ich mich ein wenig frisch, zog mich an und stürzte nach draußen. Ich stellte fest, dass ich zu sehr doppelt sah, um mit dem Auto fahren zu können, und eilte zurück ins Haus. Ich bat eine Nachbarin, mich wieder in die Arztpraxis zu bringen (sie hatte mich schon morgens dorthin mitgenommen). Wir fuhren sofort los. Der Arzt sah mich, als ich seine Praxis betrat, und sagte: »Das ist gut, dass Sie kommen. Setzen Sie sich mal ins Wartezimmer.« Etwas später im Sprechzimmer eröffnete er mir dann, aufgrund der Kernspintomographie, der Symptome, Anamnese und Familienanamnese sei der Facharzt zu dem Schluß gekommen, Multiple Sklerose zu diagnostizieren. Die Bilder zeigten einen aktiven Herd. Er telefonierte noch mit dem diensthabenden Arzt in der Neurologischen Universitätsklinik und erreichte dort, dass ich gleich am nächsten Tag aufgenommen wurde. Es wurde eine Liquoruntersuchung durchgeführt, die die Diagnose bestätigte. Ausserdem wurde ich diversen anderen neurologischen Untersuchungen unterzogen, und einen Tag später begann eine hochdosierte Cortisonbehandlung.


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Und so ging es weiter

Nach der Diagnose bin ich mit der befreundeten Nachbarin wieder nach Hause gefahren und habe in ihrer Wohnung eine Flasche Sekt für uns aufgemacht. Es kamen noch andere Nachbarn, die auf dieses denkwürdige Ereignis ein Glas mitgetrunken haben. Irgendwie hatte die Nachricht mich so erschlagen, dass ich überhaupt keinen brauchbaren Gedanken fassen konnte. Ich war ja ohnehin schon »neben der Spur« gewesen, und jetzt fand ich quasi überhaupt nicht mehr statt - ich war sozusagen ausgeblendet. Auch der anwesenden Nachbarschaft fehlten weitgehend die Worte. In meinem Kopf befand sich nur noch undefinierbarer Gedankenbrei, ich wußte nur, dass ich dringend nachdenken mußte. So verging der Abend.
Am nächsten Tag sprach ich in der Poliklinik vor. Hier wurde ich neurologisch untersucht, und der Arzt teilte mir mit, dass man auf der Station bereits ein freies Bett für mich habe. Dort sollte ich mich dann unverzüglich für die Dauer von zwei Wochen einfinden (»Haben Sie Ihre Sachen schon dabei?«). Das hatte mir ja jetzt gerade noch gefehlt, so ein ungeplanter Krankenhausaufenthalt! Und das auch noch in diesem maroden Bau!!! Der bedauernswerte, aber glücklicherweise sehr geduldige Medizinmann mußte erst noch Überzeugungsarbeit leisten. Dann fuhr ich wieder nach Hause, um das Nötigste zu organisieren und rasch mein Gepäck zusammenzustellen - gar nicht so einfach mit einem Kopf voller Brei.
Auf der Station haben mich die diensthabenden Ärzte noch einmal untersucht, und gleich anschließend wurde eilig eine Lumbalpunktion vorgenommen (»Das Liquorlabor schließt nämlich gleich fürs Wochenende, und wir brauchen dringend den Befund!«). Danach war erstmal Bettruhe und viel Teetrinken angesagt, aber ich hatte trotzdem tagelang Kopfweh. Am nächsten Morgen gab es den Befund - die meisten MS-Betroffenen dürften ihn kennen: 13/3 Zellen, oligoklonale Banden im Liquor. Ich hatte zwar keinen blassen Schimmer, was das genau bedeutet, aber es bestätigte wohl die Diagnose »Enc.diss.« soweit, wie das überhaupt möglich war. Folglich wurde gleich anschließend ein intravenöser Zugang gesucht und schließlich auch gefunden (bei meinen »Supervenen« immer ein mittleres Drama, meist in mehreren strapaziösen Akten), und die Cortisondröhnung nahm ihren Lauf.


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Stationäre Schubbehandlung - Eindrücke und ihre Wirkung

Mir wurde ein 14tägiges Cortisonschema i.v. stationär verabreicht. Nachdem die Kopfschmerzen nach der Lumbalpunktion vorbei waren, konnte ich allmählich wieder klare Gedanken fassen. Zunächst wurde mir erschreckend klar, dass es von nun an vorbei war mit der »Gesundheit«, die mir jetzt auf einmal unendlich wertvoll vorkam. Der daraus folgernde Trauerprozess war kurz, aber heftig und schmerzhaft. Und wahrscheinlich hatte er eine gute Reinigungswirkung auf mein Seelenleben.
Als ich mich etwas besser fühlte und mich im Krankenhaus umherbewegte, lernte ich einige andere Patienten oder deren Angehörige kennen. Diese ersten Eindrücke aus meiner Umgebung haben mich sehr geprägt. Mein erster Gedanke war: »Es gibt ja ganz schön viele Leute mit MS oder anderen unheilbaren Erkrankungen - warum also sollte gerade ich davon verschont bleiben? Ich habe nichts Besonderes an mir, dass mir lebenslang einen stabilen Gesundheitszustand garantiert hätte.« Je mehr ich über die anderen Patienten erfuhr, desto klarer wurde mir, dass es mir vergleichsweise supergut ging. Ich litt nachher viel mehr mit der gleichaltrigen Hirntumorpatientin, der der Arzt empfohlen hat, nichts mehr aufzuschieben, was sie gerne noch erleben möchte, als dass ich mir noch Sorgen um meine relativ »harmlose« MS gemacht hätte. Mein persönliches Fazit, das ich auch im Internet als Signatur oft benutze: MS - na und?

...Fortsetzung folgt!

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