Multiple Sklerose -
Eine Auseinandersetzung

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Was ist das eigentlich? Muskelschwund?


Eine vereinfachte Erklärung

Die Gleichung »MS = Muskelschwund«, die auch gelegentlich als die Behauptung »Multiple Sklerose, die geheimnisvolle Muskelschwunderkrankung« oder ähnlichen Unsinn daherkommt, ist eine äußerst langlebige Falschinformation, die zum Beispiel von der Boulevardpresse immer wieder gerne verbreitet wird.

Multiple Sklerose (MS), auch bezeichnet als Encephalomyelitis disseminata (E.d. oder Enc.diss.), ist eine chronische Erkrankung des Zentralnervensystems, welches Gehirn und Rückenmark umfaßt. Das Zentralnervensystem ist aus »grauer« und »weißer« Substanz aufgebaut. Man kann sich den Aufbau etwa wie ganz viele Elektrokabel vorstellen, bei denen die Fortsätze der Nervenzellen (grau) von einer Schicht Markscheide oder Myelin (weiß) umhüllt werden. Bei MS handelt es sich, salopp ausgedrückt, um Beschädigung durch Lochfraß und anschließende Narbenbildung in dieser Markscheide. Da die Markscheide für die schnelle Weiterleitung von Nervenimpulsen zuständig ist, sind die Folgen dieser Schäden (=Läsionen) unter Umständen erheblich. Je nach Lage und Größe der Läsionen können die verschiedensten Körperfunktionen beeinträchtigt werden, und das bis hin zum Totalausfall.

MS gilt derzeit als Autoimmunerkrankung mit unbekannter Ursache und als unheilbar. Es werden mehrere Verlaufsformen unterschieden:


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Die sitzen doch im Rollstuhl, oder?


Mögliche Symptome

Es gibt MS-Betroffene, die immer oder bei schlechter Tagesform oder für längere Strecken einen Rollstuhl benötigen oder benötigt haben. Aber das ist nicht »die« MS. Es gibt ja auch jede Menge andere Gründe, im Rollstuhl zu sitzen. Und es gibt jede Menge MS-Betroffene, die weder Rollstuhl noch Gehhilfen benötigen.
Verbreitete, für die Umwelt mehr oder weniger gut wahrnehmbare MS- Symptome sind zum Beispiel:

Ausserdem gibt es Symptome, die für Andere nicht oder kaum erkennbar sind und die Betroffenen oftmals in den Verdacht bringen, Simulanten zu sein, wie beispielsweise:

Dies sind nur Beispiele für geläufige Symptome, keinesfalls handelt es sich hier um eine auch nur annähernd vollständige Auflistung.


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Und - stirbt man daran?


Wie sieht es mit der Lebenserwartung aus?

Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob MS zum Tod führt. Ich persönlich halte die Aussage, dass etwa zwei Prozent der Betroffenen irgendwann an MS sterben, für die glaubwürdigste.

Von rasanten und besonders tragischen Krankheitsverläufen, die glücklicherweise nur sehr selten vorkommen, einmal abgesehen, hat eine MS-Erkrankung eher wenige bis gar keine Auswirkungen auf die Lebenserwartung. Allerdings kann es leider sein, dass bei schwerstbehinderten Betroffenen durch weitgehende Bewegungsunfähigkeit Folgeerkrankungen auftreten, die u. U. ihrerseits irgendwann zum Tod führen können.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich betonen, dass Todesfälle aufgrund der MS meist ohnehin im hohen Lebensalter stattfinden. Jedoch gelten Läsionen in der Nähe des Atemzentrums als besonders kritisch...


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Kann man denn da gar nichts machen?


Mögliche Therapien

Krankheitsschübe werden schulmedizinisch mit hochdosierten Cortison- Stoßtherapien behandelt, was die akuten Symptome im Idealfall rasch zum Abklingen bringt. Außer der Schubbehandlung rückt man der MS mit Immunsuppressiva (z. B. Imurek), Immunmodulatoren (Interferon beta, Copaxone) oder Chemotherapie (Mitoxantron) zuleibe. Auch Immunglobuline werden mitunter an Betroffene verabreicht.
Ausserdem gibt es Ansätze, den Krankheitsverlauf mit besonderen Ernährungsformen, Enzympräparaten oder Homöopathie zu beeinflussen. Der Einsatz von Cannabis soll viele Beschwerden lindern.
Heilung ist bisher nicht möglich, wenn auch dubiose Geschäftemacher dies bisweilen vorgeben.


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Wie sieht das denn im Alltag aus?


Einiges kann sich ändern - MS-Auswirkungen und Umweltreaktionen

Die im Alltagsgeschehen spürbaren Auswirkungen sind natürlich, wie auch der Krankheitsverlauf, bei jeder/jedem Betroffenen anders. Nicht umsonst ist oft die Rede von der »Krankheit mit den tausend Gesichtern«. Wenn deutliche Behinderungen vorhanden sind, liegen die entsprechenden Veränderungen diesbezüglich meist auf der Hand. Häufig liegen aber weniger einleuchtende Handicaps stattdessen oder zusätzlich vor. Viele der Betroffenen unterliegen mehr oder weniger stark ausgeprägten Tagesschwankungen, was die Präsenz und die Stärke der Symptome angeht. So kann es z. B. sein, dass jemand wochenlang ganz gut »funktioniert«, aber dann plötzlich eine Verabredung oder Einladung absagen muß. So etwas ist zunächst (meistens ;-)) frustrierend für die/den Betroffene/n und führt überdies nicht selten zu völligem Unverständnis der Umwelt. Die entsprechenden Reaktionen lassen dann nicht lange auf sich warten, wie etwa: »Er kann doch eigentlich sonst alles machen, aber zu meiner Geburtstagsfeier kommen konnte er dann komischerweise nicht!«. Auf diese Art zerbrechen leider immer wieder - auch sehr alte - Freundschaften und andere Verbindungen. Solche Belastungen haben MS-Betroffene zusätzlich zu verkraften. Dabei sind sie selbst die Hauptleidtragenden dieser Unzuverlässigkeit ihres Befindens, die jede Planung ein wenig fragwürdig werden läßt.
Früher oder später sind die meisten Betroffenen gezwungen, ihren Tagesablauf einer verminderten Belastbarkeit und starken Ermüdbarkeit anzupassen. Dazu gehört unter anderem, bei den täglichen Verpflichtungen ziemlich oft »fünf gerade sein« zu lassen und auch vermehrt Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Tagesablauf darf nicht mehr so viel »Programm« enthalten, aber dafür genügend Ruhepausen. Damit tun sich wohl vor allem diejenigen schwer, die keinerlei sichtbare Behinderung haben und dann zumeist kerngesund aussehen. Gerade hier kommt es außerdem wieder öfter zu problematischen Reaktionen der Mitmenschen.
Im Umgang mit Freunden und Bekannten können ohnehin Veränderungen eintreten. Eventuell ziehen sich manche, die für »gute Freunde« gehalten wurden, erstaunlich schnell zurück. Andere kommen vielleicht nicht damit zurecht, auf welche Art die Erkrankung die Persönlichkeit der/des Betroffenen prägt, oder man hat sich aus demselben Grund irgendwie nichts mehr zu sagen. Besonders tragisch (aber nicht allzu selten) ist es natürlich, wenn dieses Problem in der Partnerschaft auftritt.
Ansonsten ist es meist unerläßlich, sich verstärkt an gewisse Unzulänglichkeiten zu gewöhnen, die mehr und mehr Einzug in den Alltag halten können:

und so weiter, es handelt sich wieder nur um einige Beispiele, auch diese Liste könnte endlos fortgesetzt werden.


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Ich glaube, ich würde mich erschießen


Kein Grund zur Verzweiflung

Die Diagnose ist hart, keine Frage. Der Zustand, den man gemeinhin als »Gesundheit« bezeichnet, ist dahin. Unwiederbringlich. Dieser Verlust muß erstmal verarbeitet werden. Das ist ähnlich wie der Tod eines nahestehenden Menschen, nur mit dem Unterschied, dass hier ein Teil der eigenen Person sozusagen »verstorben« ist. Spätestens jetzt weiß man genau, was mit Kommentaren wie »Hauptsache, man ist gesund« immer gemeint war...
Viele Neubetroffene sind von der Diagnose, die leider auch häufig wenig einfühlsam übermittelt wird, vollkommen verängstigt und malen sich die schrecklichsten Dinge aus. Bei vielen kommen tatsächlich Gedanken auf, das Leben sei nun zu Ende, oder sie seien plötzlich zu nichts mehr nütze und nichts mehr wert.
Derartig destruktivem Gedankengut kann ich nur heftig widersprechen, denn an MS zu erkranken bedeutet weder das Ende des Lebens noch das Ende der Welt. Bei vielen Betroffenen wird sich anfangs nichts oder nur wenig ändern. Und mit der Zeit kann man durchaus lernen, sich mit den auftretenden Handicaps zu arrangieren. So groß der erste Schock sicherlich ist: auch hier wird meist »nur mit Wasser gekocht«. Genau wie vorher spielt das Leben Szenen in jeder denkbaren Qualität, und es gibt noch reichlich schöne Momente.
Ich persönlich würde es eher als »Neuanfang unter verschlechterten Bedingungen« bezeichnen und nicht als Ende. Das Leben geht ja unbeeindruckt weiter, auch wenn zunächst scheinbar nichts mehr gültig ist von den bisherigen Werten und der Lebensplanung. »Scheinbar« soll heißen, dass es nach der Überwindung des Diagnoseschocks dringend ansteht, die Werte, Pläne, Gewohnheiten usw. einmal (und in der Zukunft immer wieder einmal!) genauestens auf ihre Gültigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu entrümpeln und zu erneuern. Schließlich wurde mit der Diagnosestellung der Boden unter den Füßen fortgezogen, man muß sich völlig neu orientieren, und da mag vielleicht so manches, das immer selbstverständlich war, in das neue Leben nicht mehr recht passen. Dafür können Dinge, die bisher unwichtig waren, jetzt eine ganz andere Bedeutung erlangen.
Weiterhin bin ich der Meinung, jetzt, da das »allgemeine Lebensrisiko« eine andere Dimension angenommen hat, ist es viel wichtiger, im Hier und Jetzt zu leben. Nette Gelegenheiten, das Leben zu genießen, sollte man wahrnehmen und auskosten, anstatt mißmutig darüber zu grübeln, wie schlecht es einem in zehn oder zwanzig Jahren wohl ergehen könnte. Für müßig halte ich außerdem das »Nachklappen« nach dem Verfahren: wie schön war das Leben früher, als ich noch dies, das und jenes konnte, und jetzt...*seufz*. Nach meinen Beobachtungen neigen viel zu viele MS-Betroffene dazu, sich das Leben auf die eine oder andere Art noch zusätzlich zu erschweren. Hand aufs Herz: Braucht irgendjemand so etwas wirklich?

...hier geht demnächst die Auseinandersetzung weiter!

© 2003 Jutta Albrecht          Impressum