Wie, bitte??
Na klar! Dafür habe ich ein Fremdwörterlexikon
gewälzt:
Bei einem Menschen, dessen Ansichten von der
herrschenden Meinung abweichen, haben viele Leute das Gefühl eines
stillen Grolls, wobei sie sofort argumentieren, ohne eine andere Meinung
gelten zu lassen, anstatt den anderen als Persönlichkeit zu
schätzen und ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Viele Leute könnten
daher in ihrer Aufnahmefähigkeit stark eingeschränkt sein.
Im Folgenden werde ich den Werdegang meines Arbeitsverhältnisses darlegen. Dabei werde ich versuchen zu beschreiben, wie subtil die Mechanismen des Mobbings teilweise funktionieren. Ein Hauptproblem bei Mobbing am Arbeitsplatz ist, dass sich auch nach Erkennen der Situation kaum wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen lassen. Da ich mir früher -als »glückliche Malocherin«- nie etwas genaues unter Mobbing vorstellen konnte, möchte ich hier eine möglichst brauchbare Erklärung für interessierte Nichtbetroffene erstellen. Vielleicht finden sich ja auch Betroffene in den folgenden Schilderungen wieder.
Im April des Jahres 1988 trat ich eine Teilzeitstelle als Kommissionierin
an. Das war nicht gerade mein Traumjob, aber wegen meiner bevorstehenden
Ehescheidung musste ich dringend etwas Geld verdienen. Zeitlich war der Job
mit einer angebotenen Kinderbetreuungsmöglichkeit vereinbar. Ich hatte
einen auf 18 Monate befristeten Arbeitsvertrag unterschrieben und war der
festen Überzeugung, bis dahin etwas anderes gefunden zu haben. Die
Beschäftigung erwies sich - wie erwartet - als recht anspruchslos, war
ziemlich langweilig und fiel mir leicht, sodass meine Fehlerquote gering war
(null bis zwei Greiffehler pro Monat). Die viereinhalb Stunden jeden Abend
waren gut auszuhalten und sicherten mir ein sehr bescheidenes
Basiseinkommen. Was mir schon frühzeitig angenehm auffiel, war der
überwiegend angenehm kultivierte und höfliche Umgangston in diesem
Betrieb. Die Belegschaft bestand überwiegend aus Frauen. Die
jüngeren KollegInnen duzten sich oft (nicht alle), mit den Älteren und
den Vorgesetzten war man allgemein »per Sie«. Das erzeugte eine
freundliche Atmosphäre mit genau der Distanz, die ich am Arbeitsplatz
wohltuend finde - nicht zu viel und nicht zuwenig.
Nach ein paar Monaten
wechselte ich die Arbeitszeit, weil meine Tochter mit der Uhrzeit nicht
zurecht kam. Jetzt arbeitete ich vier Stunden täglich von 10-14 Uhr. Auch
das war in Ordnung. Die KollegInnen waren größtenteils andere als
zuvor, und es war ein etwas hektischeres Arbeiten als abends.
Im Juni
1989 bemühte ich mich um eine Ausweitung meiner Arbeitszeit, und mir wurde
eine Vollzeitstelle als Wareneingangskontrolleurin angeboten. Mir war klar,
dass dort Schmutz und Knochenarbeit auf mich zukommen würden, und ich
zögerte. Die Arbeitszeit von 7.30 Uhr bis 15.57 Uhr fand ich allerdings
angenehm, und nach einigen Tagen Bedenkzeit willigte ich ein. Nachdem ich
diesen Job eine zeitlang gemacht hatte, bekam ich Schwierigkeiten mit dem
Rücken, was bei der besonders rückenfeindlichen Ausstattung des
Arbeitsplatzes auch nicht mit verbesserten Bewegungsabläufen in den Griff
zu bekommen war. Daraufhin wurde ich zunächst im Wareneingangsbüro
eingesetzt und später an der Warenannahme. Ich machte den
»Staplerschein« und blieb jahrelang als Alleinkraft an diesem
Arbeitsplatz. Es war anstrengend und mit recht vielen Überstunden
verbunden, aber ich fand es herrlich. Mit den KollegInnen und Vorgesetzten
kam ich im Großen und Ganzen gut zurecht, da gab es keinerlei
nennenswerte Probleme. Für besondere Aktionen, bei denen es auf
Genauigkeit und Zuverlässigkeit ankam wie z. B. Inventurvorbereitungen,
wurde ich regelmäßig gern herangezogen. Nebenberuflich fuhr ich
für einen Kurierdienst.
Im Laufe der Zeit wünschte ich mir
sehr, eine Art berufliche Qualifikation nachzuholen. Andererseits liebte ich
genau diese Arbeit, die ich tat - und wie. Ich hatte schon immer eine
Schwäche für diese Materie gehabt. Also informierte ich mich
über die diesbezüglich bestehenden Möglichkeiten und begann
noch neben den beiden Arbeitsstellen eine anstrengende Fortbildung zur
Industriemeisterin für Lagerwirtschaft, die ich im Dezember 1996
erfolgreich abschloß.
In einer spektakulären Aktion änderten sich die Besitzverhältnisse bei meinem Arbeitgeber, und es wurde 1997 »umfirmiert«. Der Betrieb ist seither verpachtet, und es erfolgte die Zusammenlegung mit einem anderen hiesigen Betrieb, der früher einmal ein »Mitbewerber« gewesen war und jetzt ganz offiziell zum selben Unternehmen gehörte. Nach und nach hielt die Führungsriege dieses Betriebes bei uns Einzug. Mir wurde eine andere Beschäftigung angeboten, die wesentlich uninteressanter war als die Warenannahme. Da mich der bisherige Job aus damals rätselhaften Gründen körperlich immer mehr anstrengte, vielleicht etwas mehr Geld bei der Sache herauskommen konnte und das Ganze zeitlich auf einige Monate begrenzt war, nahm ich das Angebot dennoch an. Dabei hatte ich den Vorsatz, die Arbeit schon interessant zu gestalten und so weit wie möglich zu optimieren. Mit Sicherheit ist mir da auch Einiges sehr gut gelungen, auch wenn das heute wohl keiner meiner Vorgesetzten mehr wahrhaben möchte. Aufgrund der Zusammenlegung zweier Häuser war ein großer An- und Umbau im Betrieb geplant, und für die Zeit nach dessen Abschluß war mir bereits ein anderer Job aufgetragen: gemeinsam mit einem Kollegen sollte ich für die drei Kommissionierautomaten zuständig sein, die es dann geben würde.
Die Umbauphase lief an und war mit viel Aufwand und Überstunden
verbunden. Mit der Zeit realisierte ich, dass einer der hinzugekommenen
Vorgesetzten meinen zukünftigen Arbeitsplatz bereits Monate, bevor ich
ihn antreten sollte, an einen »seiner« Azubis vergeben hatte,
ohne mir gegenüber auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Da ich
eine Freundin klarer Verhältnisse bin und bis dahin das Glück
gehabt hatte, von solchen Vorgehensweisen verschont geblieben zu sein, war
ich zuerst einfach nur irritiert. In einem günstigen Moment sprach ich
die Sache an und erhielt nur ein paar ausweichende Floskeln zur Antwort. In
diesem Augenblick - es war im Sommer 1997 - erkannte ich zum ersten Mal, das
hier irgendetwas oberfaul war. Allerdings hatte ich damals keine Vorstellung
von dem, was noch auf mich zukommen sollte. Im Grunde war ich sogar noch
recht optimistisch, denn in einer völligen Fehleinschätzung der
Lage ging ich davon aus, dass auf Dauer ein entspanntes
Arbeitsverhältnis mit gegenseitigem Respekt im Interesse aller
Beteiligten sei. Es würde schließlich den Arbeitsalltag jedes
Einzelnen qualitativ verbessern, und auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht
fand ich es durchaus sinnvoll. Das Dumme war nur, dass ausser mir niemand
dieser Meinung war...
Obwohl man mich nach und nach quasi »kaltstellte«, ging ich zu
diesem Zeitpunkt immer noch täglich mit Begeisterung zur Arbeit. Einige
KollegInnen dachten an Stellenwechsel und setzten das teilweise auch
später in die Tat um. Was mich vor allem hielt, war eine zweite
Fortbildung, die ich anstrebte. Ich hatte mich bei einem Vorbereitungskurs
auf die Prüfung zur »Technischen Betriebswirtin IHK«
angemeldet. Mein Plan war, diese recht anspruchsvolle und entsprechend
anstrengende Maßnahme erst zu beenden und mich dann gegebenenfalls
beruflich neu zu orientieren, wenn sich bei meinem Arbeitgeber keine
interessante Möglichkeit ergeben sollte. Ich sah da kein Problem,
schließlich hielt ich mich für kerngesund - das war meine zweite
große Fehleinschätzung.
Der Umbau war fertiggestellt, und die endgültige Zusammenlegung der beiden Ursprungsbetriebe stand unmittelbar bevor. Damit nahm auch mein derzeitiger Job sein geplantes Ende, denn er wurde - wie vorgesehen - von einem Kollegen aus dem anderen Betrieb weitergeführt. Eine Zusammenarbeit mit dem jungen Mann war wohl undenkbar, denn bei einem ersten Treffen wollte ich mich nicht mit ihm duzen, und das hatte er mir offensichtlich nicht verziehen. Dass das »Du« bei den »Anderen« sozusagen zwingend zum guten Ton gehörte, weil man sonst als »eingebildet« und artverwandtes galt, war mir in diesem Moment noch nicht bekannt (und leuchtet mir aufgrund meiner Affinität zur deutschen Sprache, in der die Anrede »Sie« im Reallife ja die Norm und keine Beleidigung ist, bis heute nicht ein). Kurz und gut, irgendwo musste ich nun hin, und da der Mond leider nicht auf dem Betriebsgelände liegt, musste etwas vergleichbares gefunden werden, wohin man mich quasi »entsorgen« konnte. Natürlich fand sich auch ein geeigneter Platz, nämlich doch in der Kommissionierautomatenführung, und zwar an dem Automaten, der schon vor dem Umbau im Haus gewesen war. Die beiden Kollegen waren angeblich mit den neuen Automaten reichlich ausgelastet, und jemand müsse sich dort kümmern. Die erforderlichen Informationen möge ich mir doch bei den Herren einholen.Diese Maßnahme brachte dann die erwünschte Wirkung:
Die Situation verschärfte sich täglich. Es endete zunächst
damit, dass »die rechte Hand« und Vertretung jenes Vorgesetzten,
um den es hier hauptsächlich geht und der sich zu der Zeit im
Krankenstand befand, mich anwies, das »Herumlaufen im Haus« zu
unterlassen und mich lieber damit zu beschäftigen, die neu eingegangene
Ware zum Automaten hinaufzuschaffen, da die entsprechenden Kollegen im
Moment nicht verfügbar waren. Merkwürdig, denn in meinem
vorherigen Job, den ja jetzt jemand anders machte, fiel genau das auch schon
in meinem Zuständigkeitsbereich...
Da ich aber jetzt schon mehr
darüber wußte, wohin diese Reise gehen sollte, fügte ich
mich ohne weiteren Kommentar. Ich redete mir ein, die Wärme und die
schlechte Luft wären letztendlich vielleicht doch nur
Gewöhnungssache, und so machte ich mich ans Werk. Palettenweise
schleppte ich Kartons mit Ware die Treppe hinauf und verteilte und verräumte
sie oben. Es gab auch noch Wareneingang in Kommissionierbehältern, den
ich ebenfalls bearbeitete. Körperlich tat mir das Ganze überhaupt
nicht gut. Ich fühlte mich nach wenigen Tagen endlos erschöpft,
meine Schulter schmerzte, einige Finger wurden gefühllos. Ausserdem war
ich völlig ratlos bezüglich der nun wirklich sehr unangenehmen
Arbeitsplatzsituation, und meine Stimmung näherte sich ganz
allmählich dem absoluten Nullpunkt. Meine Freizeit erbrachte trotz
absichtlich viel Ruhe und Entspannung überhaupt keinen Erholungseffekt.
Auch als ich nicht mehr permanent Ware verräumen mußte, besserte
sich das alles nicht. Nach einer Weile sah ich morgens nach dem Aufwachen
alles doppelt. Wie ich dann einige Tage später erfahren sollte, war
mein schlechtes Befinden eigentlich nicht weiter verwunderlich. Denn als ich
deswegen zum Arzt ging, wurde recht schnell die MS und ein akuter Schub
diagnostiziert. Deswegen wurde ich dann mehr als sieben Wochen aus dem
Verkehr gezogen und hatte ersteinmal ganz andere Sorgen. Die Einzelheiten
hierzu sind auf der Seite »Meine Aufnahme im
Club« beschrieben. Mein Vorgesetzter
quittierte die Information, dass man mich als Notfall in der Uniklinik
aufnehmen würde, mit einem schlichten: »Ja, ist gut!«. Er
war allerdings der Einzige, der das gut fand...
Nachdem ich eine Cortison-Stoßtherapie mit langem Ausschleichen
hinter mich gebracht hatte, kehrte ich an meinen Arbeitsplatz zurück. Obwohl
ich so lange wegen Krankheit gefehlt hatte, wurde ich behandelt, als wäre
nichts gewesen. Das wunderte ich mich auch eigentlich gar nicht, aber da ich
im Umgang mit Mitarbeitern geschult bin, fiel es mir doch auf. Nach und nach
stellte ich meine Leistungsfähigkeit auf die Probe, die jedoch
weiterhin durch die ungünstigen Umgebungsbedingungen geschmälert
war. Nachdem ich bereits einige Wochen zurück am Arbeitsplatz war,
gratulierte mir der Betriebsratsvorsitzende zu meinem zehnjährigen
Betriebsjubiläum, das während des Krankenstandes stattgefunden
hatte. Nach seiner Intervention wurde mir dann auch seitens meines
Vorgesetzten der obligatorische Blumenstrauß eiligst nachgereicht mit
der Bemerkung, die Sache mit dem dazugehörige Glas Sekt werde
nachgeholt. Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, ist das alles fast vier
Jahre her. Besagten Umtrunk hat es bisher natürlich nicht gegeben.
So verging dann einige Zeit zwar mit den üblichen
Schwierigkeiten, aber ohne nennenswerte Vorkommnisse.
Es ergab sich eine Änderung: der bereits erwähnte »Vertreter
des Chefs« übernahm an dessen Statt das Kommando über die
Kommissionierautomaten. Das bedeutete für mich zunächst, der
Verbannung auf die Arbeitsbühne unter dem Dach zu entrinnen und mit den
beiden Kollegen, zu denen sich das Verhältnis allmählich etwas
gebessert hatte, an allen Automaten zusammenzuarbeiten. Wir wurden dann
verpflichtet, abwechselnd Spät- und Samstagsdienste zu übernehmen.
Wegen meiner Interferontherapie (die ja letztlich auch dem Erhalt meiner
Arbeitskraft dienen sollte) und den damit verbundenen immensen
Nebenwirkungen konnte ich freitags keinen Spätdienst absolvieren. Das
wurde auch akzeptiert und ging solange gut, bis mal niemand anders den
Freitagsspätdienst machen konnte, weil alle etwas vorhatten. Ich hatte
mir fest vorgenommen, meine wöchentliche Injektion immer einigermassen
zu gleichen Zeit zu nehmen, und erklärte, dass ich - wie bekannt - auch
nicht zur Verfügung stehen würde. Das brachte mir ein
Gespräch mit meinem Vorgesetzten ein, in dem er sagte: »Frau A.,
ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie Ihr Leben lang jeden Freitag abend
eine Spritze bekommen müssen. Klären Sie das doch mal mit Ihrem
Arzt.«. Nach meiner Erklärung, dass die Behandlung nach
derzeitigem Wissensstand unbegrenzte Zeit andauern sollte, wiederholte er
die Aufforderung, das mit dem Arzt abzuklären. Ich bot an, eine
ärztliche Bescheinigung beizubringen, aber er lehnte ab. Offensichtlich
genügte es ihm, mir auf diese Art klarzumachen, dass er mir nicht
glaubte.
Es ergaben sich noch andere
Unannehmlichkeiten. Der Betriebsrat hatte ohne mein Wissen meinem
Vorgesetzten gegenüber der Betriebsleitung vorgeworfen, mich zu mobben. Erst
im Verlauf des Gesprächs, das deswegen stattfand, stellte es sich
für mich heraus. Natürlich wird mir diese Sache wohl auf Ewig
nachhängen - nur eine Person aus dem Kreis der Vorgesetzten
interessierte sich dafür, das ich das gar nicht gesagt hatte. Ich habe
es auch wirklich damals noch nicht so gesehen.
Ein weiteres
Gespräch mit dem betreffenden Vorgesetzten und dem Betriebsleiter brach
ich ab, weil ich damals zu meiner Entlastung kurzzeitig unter dem Einfluss
von »Scheissegal-Pillen« stand und so völlig emotionslos,
aber dafür glasklar verfolgen konnte, wie ich mit rhetorischen Mitteln
demontiert und vorgeführt werden sollte. Vermutlich seither galt ich,
wie sich viel später herausstellen sollte, als psychisch krank. Das
erklärte rückblickend diverse suboptimale Reaktionen des Betrieblseiters auf
Äusserungen meinerseits, um es mal diplomatisch
auszudrücken...
Dieser Vorfall machte mir jedenfalls klar,
dass mein Arbeitsplatz wohl stark gefährdet war. Da mir wegen meines
weniger guten Gesundheitszustands ein Wechsel zu riskant war, beantragte ich
daraufhin einen Schwerbehindertenausweis (Dezember 1998).
Einige Zeit später (Anfang März 1999 und unmittelbar nach meiner
Prüfung zum Technischen Betriebswirt) wurde ich von meinen bisherigen
Aufgaben entbunden, und seither bin ich als Lagerarbeiterin eingesetzt. Der
mir - ziemlich unverblümt - genannte Vorwand: ich hatte
»krankgefeiert«. Sogar für den Samstag, an dem ich
hätte arbeiten sollen, war ich doch tatsächlich krankgeschrieben
gewesen - unerhört. Es hiess, was ich mir jetzt geleistet hätte,
wäre aber nun wirklich zuviel. Keines meiner vorgebrachten Argumente
fand Gehör. Da die mir zugewiesene Arbeit vertragskonform ist, nahm ich
sie auf und versuchte weiterhin,, das Beste aus der Situation zu machen - was
blieb mir auch sonst übrig? Für mich steht fest, dass ich damit
veranlasst werden sollte, zu kündigen. Wenn ich noch gesund gewesen
wäre, hätte es auch mit Sicherheit funktioniert
Als ein paar
Wochen später mein Schwerbehindertenstatus vom Versorgungsamt anerkannt
war, suchte ich erneut das Gespräch mit der Betriebsleitung.
Schliesslich ging ich davon aus, diese momentane Beschäftigung nicht auf
Dauer ausüben zu können. Der Betriebsratsvorsitzende empfahl mir,
zunächst ein Vier-Augen-Gespräch zu führen. Das war auch
durchaus in meinem Sinne, und ich rief die Sekretärin des Herrn an und
bat um einen Termin. Als dann das Gespräch stattfand, nahm auf Wunsch
des Betriebsleiters (!!!) der Betriebsratsvorsitzende auch daran teil - eine
ässerst ungewöhnliche Maßnahme, wie ich finde. In diesem
Gespräch holte ich mir jedenfalls eine Abfuhr auf der ganzen Linie.
Diesen Job würde ich erstmal behalten, denn ich passe nicht ins Team. Es
war noch die Rede von Karriereknick und ähnlichen Dingen, die weit
entfernt von dem waren, was ich eigentlich gerne besprochen hätte.
Also
kehrte ich, wieder um eine Erfahrung reicher, zu meinem Arbeitsplatz
zurück. Immerhin war jetzt geklärt, dass die Sache für mich
aussichtslos war.
Im allgemeinen konnte ich meine Arbeit noch ganz gut
machen, und man ignorierte mich dabei weitgehend, d.h. wenn alle irgendetwas
erhielten wie z.B. eine Information, erhielt ich sie ganz bestimmt nicht.
Wenigstens hatte ich soweit Ruhe, wenn man mal davon absieht, dass mir
während einer Krankschreibung im November 1999 seitens des Chefs am Telefon
zur Folge-AU gratuliert (!) wurde (ich, betont korrekt:»Herr ..., ich
bin weiter krankgeschrieben bis zum soundsovielten«, darauf
er:»Na, herzlichen Glückwunsch!«).
Mein Vater führt schon, seit ich mich erinnern kann (und etwas länger), einmal jährlich einen Getränkeverkauf auf einer Grossveranstaltung (Jahrmarkt) durch, der an seinem Wohnort - also genau vor seiner Tür - stattfindet. Damit bin ich gross geworden, und ich mag den Rummel einmal im Jahr sehr. Irgendwie fühle ich mich dazugehörig, und das Ganze macht mir einen Riesenspaß. Seit ich 16 Jahre alt war, bin ich aktiv bei der Aktion behilflich. Ich hatte mir immer Urlaub für den entsprechenden Zeitraum genommen, und was ich diesem Urlaub mache, war auch seit jeher im Betrieb allgmein bekannt. Es gab auch kein Problem bis zum Jahr 2000. Wie meist, bin ich von Betriebsangehörigen im Pavillon gesehen worden. Aber diesmal erhielt ich anschließend folgendes:
...wir sind darüber informiert worden, dass Sie am Wochende 9./10. September 2000 auf Pützchens
Markt im Bierpavillion eine Nebentätigkeit ausgeführt haben.
Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie gemäß der im
Arbeitsvertrag § 7 festgehaltenen Vereinbarung bezüglich Nebentätigkeit
den Arbeitgeber vorab darüber zu informieren haben. Dies ist
Ihrerseits nicht geschehen.
Da wir davon ausgehen, dass Sie auch an
anderen Festlichkeiten diese unerlaubte Nebentätigkeit in der Gastronomie
ausführen, erwarten wir von Ihnen, dass Sie diese unverzüglich
einstellen. Aufgrund der ausgeführten Nebentätigkeit können wir
eine Beeinträchtigung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten erkennen. Im
Hinblick auf Ihren labilen gesundheitlichen Zustand, der in unserem
Unternehmen zu einer von uns bereits bemängelten hohen Fehlzeitenrate
geführt hat, ist es sicherlich nicht in Ordnung, dass Sie sich zusätzlich
zu Ihrer hier auszuführenden Vollzeittätigkeit anderweitig in Ihrer
Freizeit auch noch körperlich verausgaben. Freizeit ist klar zur Erholung
notwendig und nicht um eine zusätzliche Belastung herbeizuführen.
Ihr Verhalten stellt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, die
wir in dieser Form zukünftig nicht hinnehmen werden. Wir erteilen Ihnen
hiermit für Ihr arbeitswidriges Verhalten eine Abmahnung und untersagen
Ihnen ausdrücklich die Ausführung weiterer entgeltlicher Tätigkeiten.
Bei einem erneuten gleichartigen Fehlverhalten müssen Sie mit der
Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.
Eine Kopie dieser
Abmahnung wird in Ihre Personalakte aufgenommen.
Hochachtungsvoll
Wer mag, kann sich das Schreiben HIER ansehen.
Erst war ich einfach nur wütend über diese Anhäufung von falschen Spekulationen, aus denen diese Abmahnung bestand. Ich antwortete kurz und knapp:
...bezugnehmend auf Ihr o.a. Schreiben stelle ich mit Befremden fest, dass
sowohl Ihr Informationsstand als auch Ihre weiteren Behauptungen und
Belehrungen keinerlei tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.
Daher
fordere ich Sie hiermit ausdrücklich auf, die mit Datum vom 20.09.2000
erteilte Abmahnung sofort vollständig zurückzuziehen sowie unverzüglich
aus meiner Personalakte zu entfernen.
Der Betriebsrat erhält ein
Duplikat dieses Schreibens zur Kenntnis.
Hochachtungsvoll
HIER ist die Kopie der Antwort zu sehen.
Anschließend wurde ich mündlich aufgefordert, dieses Schreiben zu erläutern, und ich erklärte den Sachverhalt. Die Antwort ließ auf sich warten, aber schließlich kam sie doch:
...bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 2000-09-26 und Ihrer gegnüber Herrn
... mündlich ausgeführten Gegendarstellung werden wir die Abmahnung
nicht zurücknehmen.
Sie haben erläutert, dass Sie diese Tätigkeit
im Bierpavillion auf Pützchens Markt aufgrund familiärer
Verbundenheit und aus Traditionsgründen unentgeltlich durchgeführt
haben, aber für uns steht hier auch nicht die entgeltliche Tätigkeit
im Vordergrund.
Unserer Meinung nach sehen wir einen sehr starken
Konflikt in der körperlich anstrengenden Arbeit in Ihrer Freizeit, obwohl
die Freizeit einen Erholungswert haben sollte. Gerade Sie als anerkannte
Schwerbehinderte unterliegen einem erhöhten Schutzbedürfnis bei
körperlicher Anstrengung. Dass die Arbeit in einem Bierpavillion mit
körperlicher Anstrengung verbunden ist, steht für uns ausser Frage.
Nebentätigkeiten, die die körperlichen Kräfte des Arbeitnehmerns
so stark beeinträchtigen könnten, dass die vertraglich geschuldetete
Arbeitsleistung nicht voll im Interesse des Unternehmens ausgeführt werden
kann, sind nicht erlaubt. Der Arbeitnehmer ist sogar zur helfenden
Unterstützung beim Genesungsprozess verpflichtet.
Wir sehen einen
sehr starken Zusammenhang in der körperlichen Nebentätigkeit und
Ihrer sehr hohen Fehlzeitenquote. Aufgrund Ihrer häufigen Fehlzeiten
können Sie Ihre Arbeitsleistungen dem Unternehmen nicht voll zur
Verfügung stellen. Damit beeinflusst Ihre Nebentätigkeit das
Interesse des Unternehmens negativ.
Wir untersagen Ihnen hiermit nochmal
ausdrücklich derartige Nebentätigkeiten, die durch
Überanstrengung Ihre vertraglich geschuldetete Arbeitsleistung
beeinträchtigen könnten.
Eine Kopie dieses Schreibens werden
wir dem Betriebsrat zur Kenntnis überreichen.
Hochachtungsvoll...
Auch das gibt es HIER zu sehen.
Der Betriebsrat hatte mir gesagt, wenn der Arbeitgeber die Abmahnung nicht freiwillig zurücknehmen würde, müsse ich gegebenenfalls vor dem Arbeitsgericht darauf klagen. Also nahm ich Kontakt zu einem Rechtsanwalt auf, der mir erklärte, dass das Gericht Wert darauf legt, dass im Vorfeld einer Klage alles unternommen wird, um ein Gerichtsverfahren zu verhindern. Deshalb würde er erst versuchen, ohne Klage weiterzukommen. Er schrieb folgendes:
...Begründung: Es ist zunächst festzustellen, daß meine Mandantin
durch Ihre Abmahnung in Ihrem beruflichen Fortkommen und vor allem in Ihren
Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt wird. Meine Mandantin kann die
Beseitigung der durch die Abmahnung entstandenen Beeinträchtigungen verlangen, da
die Abmahnung unrichtige Tatsachenbehauptungen, unsachliche Werturteile sowie
rechtsirrig angenommene Vertragsverstöße enthält.
Im Einzelnen
muß zunächst festgestellt werden, daß meine Mandantin lediglich
einmal im Jahr aus familiären und traditionellen Gründen unentgeltlich Ihrem
Vater ...,hinsichtlich seines Bierpavillions auf dem Pützchensmarktgelände,
aushilft. Weitere körperliche Arbeiten in der Freizeit meiner Mandantin haben nie
stattgefunden und können nur Ihrer Phantasie entspringen.
Diese
Tätigkeit, falls man sie überhaupt als Tätigkeit bezeichnen kann,
geschieht unentgeltlich und vor allem freiwillig als Freizeitbeschäftigung ohne
körperliche Anstrengung. Dies bedeutet, meine Mandantin geht immer nur dann in
den Pavillion, wenn gerade mal ein Engpass herrscht und vor allem nur dann, wenn sie
sich körperlich dazu in der Lage fühlt. Überwiegend hält sie sich
während der Markttage im Hause ihres Vaters auf, damit ein Ansprechpartner dort
vorhanden ist.
Die Tätigkeit meiner Mandantin beeinflußt sie daher in
keinster Weise körperlich, da ihre Tätigkeit lediglich einmal im Jahr und
dann überwiegend keine körperliche Arbeit ist. Die Behauptung, diese eine
Tätigkeit sei ursächlich für Fehlzeiten meiner Mandantin, ist daher
nicht aufrecht zu erhalten.
Eine Maßregelung, wie meine Mandantin ihre
Freizeit gestaltet, inbesondere wo sie sich in ihrer Freizeit aufhält, entbehrt
jeglicher Grundlage. Eine Nebentätigkeit, im Sinne des Wortes selbst, hat es seit
der Zeit der anerkannten Schwerbehinderung nie gegeben und kann daher auch nicht ihr
Unternehmen negativ beeinflussen bzw. beeinflußt haben.
Die ... Forderung
zum Widerruf und Entfernen der Abmahnung vom 20.09.2000 aus der Personalakte meiner
Mandantin ist daher auch begründet.
Als Frist für eine Stellungnahme
von Ihrer Seite habe ich mir den 5.Januar 2001 notiert. Sollten Sie der obigen
Forderung nicht nachkommen, mache ich Sie bereits jetzt darauf aufmerksam, daß
der Klageweg nicht ausgeschlossen wird.
Abschrift für den Betriebsrat anbei
Mit freundlichen Grüßen...
HIER geht es wieder zur Kopie.
Plötzlich ging es sehr schnell:
...bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 21.Dezember 2000 teilen wir Ihnen mit, dass wir
die Abmahnung vom 20.September 2000 aus der Personalakte von unserer Mitarbeiterin,
Frau Jutta Albrecht, entfernt haben.
Mit freundlichen Grüßen...
Die Kopie ist davon ist HIER.
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